Nicht sel­ten pas­siert es mir, dass ich – obwohl schon 20 Jah­re im päd­ago­gi­schen Bereich tätig – vor den Zustän­den zurück­schre­cke. Ein Gehalt knapp über dem Min­dest­lohn für eine Voll­zeit­wo­che Arbeit mit den Kin­dern? Kei­ne Sel­ten­heit. Räum­lich­kei­ten ohne Mög­lich­keit, sich als Mitarbeiter:in zurück­zu­zie­hen oder auch nur in Ruhe eine Bespre­chung abzu­hal­ten? Oft gese­hen (und erlebt). Den Vor­stel­lun­gen, Wün­schen und Fami­li­en­si­tua­tio­nen der Kund:innen aus­ge­lie­fert, ohne adäqua­te Res­sour­cen, dar­auf zu reagie­ren? Ganz nor­mal. Täg­li­che Bezie­hungs­ar­beit und nur in Not­fall­si­tua­tio­nen Super­vi­si­on, Coa­ching und psy­cho­lo­gi­sche Beglei­tung? Ja, auch das. Über die Köp­fe der Pädagog:innen hin­weg geführ­te Dis­kus­sio­nen über Öff­nungs­zei­ten, die mehr nach Debat­ten über die Ver­füg­bar­keit einer Super­markt­ket­te klin­gen, als nach pro­fes­sio­nel­len Gesprä­chen über Ein­rich­tun­gen, bei denen das Kind in der Mit­te steht? An der Tagesordnung.

Vie­le Men­schen, denen ich in der letz­ten Zeit in mei­ner Tätig­keit für das Pra­xis­fo­rum begeg­net bin, haben trotz der teils über­mensch­li­chen Anstren­gung, die die gesell­schaft­li­chen Bedin­gun­gen der letz­ten Jah­re gefor­dert haben, gro­ße Hoff­nun­gen in die Pan­de­mie gesetzt. War­um? Weil end­lich sicht­bar zu wer­den schien, was pas­siert, wenn Ein­rich­tun­gen, die Kin­der beglei­ten, nicht mehr nach gewohn­ter Manier ein­fach zu Ver­fü­gung stehen.

Wir haben als Eltern, als Kolleg:innen, als Arbeitgeber:innen gese­hen: unse­re Gesell­schaft ist nicht mehr dar­auf aus­ge­legt, dass unse­re Kin­der bei uns sind. Mee­tings mit Klein­kin­dern am Schoß, Online­un­ter­richt, der zwi­schen die Erwerbs­ar­beit gescho­ben war, Arran­ge­ments mit den Che­fi­tä­ten – viel Aus­gleich war nötig (und manch­mal unmög­lich). Aber nicht nur die orga­ni­sa­to­ri­sche Not­wen­dig­keit kam an die Ober­flä­che. Auch inhalt­lich und qua­li­täts­be­zo­gen haben sich plötz­lich Fra­gen gestellt, die vor­her kein The­ma waren. Wie lernt mein Kind ohne Bezie­hung zu Pädagog:innen? Wel­che Qua­li­tät an Bil­dung kön­nen wir für die Zeit zu Hau­se bie­ten? Wer gibt dem Kind jetzt eine Mög­lich­keit der Gemein­schaft in der Grup­pe oder Klasse?

Men­schen, die mit Kin­dern arbei­ten wol­len und kön­nen sind für unse­re Gesell­schaft von enor­mer Bedeu­tung. Doch damit es die­se Men­schen wei­ter­hin gibt, braucht es Rah­men­be­din­gun­gen, die die­sen Beruf aus­halt­bar machen. (Ja, für vie­le Pädagog:innen, Assistent:innen, Betreuer:innen und Lehrer:innen geht wirk­lich erst ein­mal um aus­halt­bar.) Selbst wenn wir jetzt, im schein­ba­ren „nach“ der Pan­de­mie, dank­bar ver­ges­sen haben, was uns alles wider­fah­ren ist — ein paar Lern­chan­cen könn­ten wir wahr­neh­men. Auch als mit Kin­dern Arbei­ten­de. Wir haben gese­hen, wel­che Aus­wir­kun­gen unser Feh­len hat. Wir wis­sen, wie sehr wir und unse­re gute Arbeit gebraucht werden.

Viel­leicht braucht die Gesell­schaft aber noch mehr direk­te Erin­ne­rung dar­an. Dabei den­ke ich nicht an fei­ne, höf­lich-bestimm­te Eltern­mails, die ein­mah­nen wie viel geleis­tet wird. Ich den­ke auch nicht dar­an, ein­an­der so laut dar­in zu bestä­ti­gen, wie sehr die Arbeit mit den Kin­dern geliebt wird, dass man sich selbst und die berech­tig­ten Bedürf­nis­se nach aus­rei­chend Gehalt, Ruhe­pau­sen in der Arbeit, adäqua­te Ver­tre­tung bei Kran­ken­stän­den und Mit­spra­che als Expert:innen auf Augen­hö­he nicht mehr wahr­nimmt. Wenn ich zu Team­ent­wick­lung oder zu Coa­chings und Super­vi­sio­nen kom­me, wün­sche ich mir manch­mal, die Ver­an­stal­tung abzu­bre­chen und gleich gemein­sam auf die Stra­ße zu gehen.

Es gibt Restrik­tio­nen, mit denen man umge­hen ler­nen kann. Und ande­re, bei denen es höchst unge­sund ist, stän­dig nur dar­an zu fei­len, mit ihnen umzu­ge­hen. Struk­tu­rel­le Krän­kung*, ein Begriff den Astrid Scheyrögg von Johan Gal­tung auf­greift und für die Pra­xis im Coa­ching ver­tieft, beschreibt, dass es nicht nur Krän­kun­gen gibt, die aus wil­lent­li­chen „Angrif­fen auf die Selbst­ach­tung oder das Selbst­wert­ge­fühl ein­zel­ner Per­so­nen durch ande­re“ bestehen. Viel­mehr geht es um die Aus­wir­kun­gen, die orga­ni­sa­to­ri­sche oder auch staat­li­che Regu­la­ti­ve – wie bei­spiels­wei­se ein Bud­get für Bil­dungs­aus­ga­ben und ein dem­entspre­chend ori­en­tier­ter Bei­trag pro Kind oder eine gesetzt­lich fest­ge­leg­te Anzahl von Kin­dern in Grup­pen und Klas­sen – auf betrof­fe­ne Men­schen haben.

Gehe ich trotz­dem wei­ter mei­ner Arbeit als Bera­te­rin nach? Astrid Scheyrögg schreibt, dass bei vie­len struk­tu­rel­len Krän­kungs­phä­no­me­nen auf­grund sozi­al­po­li­ti­scher Ent­wick­lun­gen das Coa­ching „nur eine kom­pen­sa­to­ri­sche Fei­gen­blatt-Funk­ti­on über­neh­men kann“. Man steht „als Coach oft­mals vor der Fra­ge, ob man durch sei­ne Arbeit unzu­mut­ba­re Arbeits­be­din­gun­gen stüt­zen soll, oder ob man als Anwalt für Huma­ni­tät Kli­en­ten in ihrer Resi­li­enz för­dern und dadurch ermu­ti­gen soll, Unzu­mut­ba­res zu Guns­ten men­schen­ge­rech­ter Pro­zes­se einzufordern.“

Und auch, wenn ich als sys­te­misch ori­en­tier­te Super­vi­so­rin dem tra­di­tio­nell wert­neu­tra­len Ver­hal­ten zug­ei­neigt bin: Es ist aller­höchs­te Zeit, Mus­ter auf­zu­zei­gen und so lan­ge Gren­zen zu set­zen, bis es wirk­lich deut­lich schwie­ri­ger wird, Kar­rie­ren und das kapi­ta­lis­ti­sche Kon­zept auf der Aus­beu­tung von (haupt­säch­lich weib­li­chen) Men­schen zu bau­en, die „eh“ da sind, um sich um unse­re Kin­der zu küm­mern. In allen Vari­an­ten von Bera­tung die gesell­schaft­li­chen Kom­po­nen­ten des Pro­blemerle­bens nicht aus­zu­blen­den, son­dern bewusst her­ein­zu­ho­len — das ist der Bei­trag, den Berater:innen dazu leis­ten können. 

Es gibt groß­ar­ti­ge Initia­ti­ven, die sich mit hohem per­sön­li­chem Ein­satz der Betei­lig­ten der Ver­bes­se­rung der Umstän­de ver­schie­ben haben. Hier zwei Beispiele:

Bes­se­re Schu­le Jetzt!

https://www.bessereschule.jetzt/

Men­schen, denen die Bil­dung, die Diver­si­tät und Inte­gra­ti­on, denen ein gemein­sa­mes respekt­vol­les Mit­ein­an­der an Wie­ner Schu­len wich­tig ist. Bes­se­re Schu­le Jetzt! liegt eine Visi­on einer gerech­ten Schu­le und Chan­cen­gleich­heit eben­so am Her­zen wie mehr Trans­pa­renz. Daher wer­den mehr Res­sour­cen für die Bil­dung gefor­dert und gemein­sam an der Schu­le der Zukunft gear­bei­tet. Für Inte­gra­ti­on, Diver­si­tät und Chan­cen­gleich­heit aller Kinder.

Mehr für Care

https://mehr-fuer-care.at/
Ein Bünd­nis von Orga­ni­sa­tio­nen, Netz­wer­ken und enga­gier­ten Ein­zel­per­so­nen, das sich für mehr Platz und Geld für Care und eine geschlech­ter­ge­rech­te Bud­get- und Finanz­po­li­tik einsetzt.

Pod­cast vom Febru­ar 2022

Und hier noch ein Pod­cast von Bar­ba­ra Kas­per, der – fokus­siert auf Ele­men­tar­päd­ago­gik – mit Stand Febru­ar 2022 Zustän­de und For­de­run­gen zusam­men­fasst.
https://www.oegb.at/themen/gleichstellung/kinderbetreuung/podcast–aufstand-im-kindergarten–


* Astrid Scheyrögg, 2014: Struk­tu­rel­le Krän­kun­gen als The­ma im Coa­ching. In: Orga­ni­sa­ti­ons­be­rat Super­vi­si­on Coa­ching (2014) Heft 21. Sprin­ger Ver­lag Wies­ba­den. S. 343–352

** Pho­to by Fol­co Masi on Uns­plash

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